Milch, Wein und Äpfel

Vom Selbstversorger zur Spezialisierung

Südtirols Bauern sind lange Zeit Selbstversorger. Mit der Modernisierung der Höfe setzt ab Ende der 1950er Jahre ein grundlegender Wandel ein. Die Landwirte geben die bis dahin verbreiteten Mischkulturen auf und spezialisieren sich auf die Produktion von Milch, Äpfeln und Trauben. Sie beliefern damit Genossenschaften, die sich um die Verarbeitung und Vermarktung der Produkte kümmern. Menge und Qualität der erzeugten Lebensmittel steigen in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich. 

Äpfel im Höhenflug

In den Tallagen im Etschtal, Vinschgau und mittleren Eisacktal lassen die bäuerlichen Betriebe Mischwirtschaft und Viehhaltung auf und spezialisieren sich auf den Obstbau. Die Bauern wandeln vormalige Äcker und Möser zu Apfelanlagen um. Die Apfelbäume sind kleiner und ertragreicher als früher und werden in Reihen gepflanzt, um die maschinelle Pflege zu erleichtern. Das führt zusammen mit Bewässerung, Frostschutz und modernem Pflanzenschutz zu steigenden Ernten.

 

Die jährliche Apfelernte steigt zwischen 1960 und 1980 um rund das Doppelte auf 475.000 Tonnen* (heute rund 1 Million Tonnen). Zugleich reduziert sich die Sortenauswahl auf wenige marktgängige Sorten. Der Golden Delicious wird zum absoluten Spitzenreiter: Ergänzt er das Apfelsortiment 1960 gerade einmal mit 1,9 Prozent an der gesamten Erntemenge, steigt sein Anteil auf 33 Prozent im Jahr 1972*. 

* Helmut Alexander, Maschinen, Fabriken, Arbeitsplätze, In: Das 20. Jahrhundert in Südtirol. Band 4: 1960-1979, Bozen 2002.

 

Die Zeitzeugen Karl Dallemulle, Peter Brigl und Matthias Josef Gamper schildern die Entwicklung im Apfelanbau.

Karl Dallemulle
Peter Brigl
Matthias Josef Gamper

Qualitätswende beim Wein

Südtirol hat seit jeher ausgedehnte Weinbaugebiete. Durch Intensivierung können die Bauern die Traubenerträge deutlich steigern. Die Kellereien produzieren in den 1970er Jahren rund 500.000 Hektoliter Wein – und damit rund 40 Prozent mehr als heute. Doch ab Ende der 1970er Jahre gerät der Expansionskurs ins Stocken. Vernatsch-Weine wie der „Kalterersee“ entsprechen nicht mehr dem Geschmack der Konsumenten. Südtirols Renommee als Weinland sinkt. 

 

Die Weinwirtschaft reagiert auf diese Krise mit einer Qualitätsoffensive. Anstatt möglichst viel zu produzieren, geht es nun um „Klasse statt Masse“. Die Bauern reduzieren die Traubenerträge um bis zu zwei Drittel. Der Vernatsch, der in den 1970er Jahren einen Anteil von 80 Prozent hat, wird stark reduziert – zugunsten vor allem der weißen Sorten. Trauben aus besten Lagen werden zu Premiumweinen ausgebaut. Südtirol macht sich als Anbaugebiet hochwertiger Weißweine einen Namen.

 

Luis Raifer, langjähriger Obmann der Kellerei Schreckbichl, erzählt von der Wende im Südtiroler Weinbau.

Luis Raifer

Aufstieg der Milchwirtschaft

Auch in den Berggebieten setzt sich die Spezialisierung durch. Die Bauern konzentrieren sich auf die Viehzucht und Milchwirtschaft. Durch bessere Fütterung, Zucht und neue Rinderrassen steigt die durchschnittliche Milch- und Fleischleistung an. Der Fleischmarkt stürzt jedoch Anfang der 1980er Jahre in eine tiefe Krise. Die Verwertungsgesellschaft Vives, die einen großen Schlachthof in Bozen gebaut hat, muss Konkurs anmelden. Viele Bauern stellen in dieser Zeit auf die rentablere Milchwirtschaft um.

 

Immer mehr Bauern liefern ihre Milch an eine Genossenschaft. Doch die Qualität der erzeugten Rohmilch ist anfangs noch schlecht. Der Sennereiverband unternimmt große Anstrengungen zur Qualitätssteigerung, die ab 1972 von der Landespolitik unterstützt werden. Der Verband berät die Bauern und Sennereien, richtet ein Milchlabor ein und führt die Qualitätsbezahlung ein. Dadurch gelingt es, die Qualität der Milch zu steigern und Südtirols Milchprodukte wettbewerbsfähig zu machen. Die Genossenschaften steigern die Verarbeitung der Milch zu Butter, Käse und vor allem Joghurt kontinuierlich.

 

Alfons Hainz und Johann Gasser über die Entwicklung der Milchwirtschaft und Tierzucht.

Alfons Hainz
Johann Gasser

Genossenschaften im Auftrieb

Die Verarbeitungs- und Vermarktungsgenossenschaften gewinnen mit der Spezialisierung der Landwirtschaft an Bedeutung. Sie wachsen und investieren in neue Magazine, Kühlhäuser und moderne Anlagen. Die Genossenschaften sind in Fachgruppen wie dem Verband der Obstgenossenschaften VOG, dem Verband der Kellereigenossenschaften, der Vereinigung der Tierzuchtverbände oder dem Sennereiverband vereinigt. Sie alle sind dem Raiffeisenverband angeschlossen, der die Genossenschaften seit 1960 unterstützt. 

 

Der Altobmann des Raiffeisenverbandes Baron Carl Eyrl schildert die Entwicklung des Genossenschaftswesens.

Baron Carl Von Eyrl